Helmut Schmidt

Rede von Udo Schiefner zum Gedenken an Helmut Schmidt, gehalten im Kulturforum Franziskanerkloster in Kempen

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich, dass Sie alle heute hier sind.
Wir wollen uns gemeinsam an einen überragenden Staatsmann erinnern. Wir trauern um Helmut Schmidt. Helmut Schmidt ist am 10. November in seinem Haus in Hamburg im Alter von 96 Jahren verstorben. Er hat fast ein Jahrhundert gelebt und er war fast siebzig Jahre Sozialdemokrat.

Mit dem Tod von Helmut Schmidt verlieren wir einen großen Sozialdemokraten und eine gewichtige Stimme der Vernunft. Wir blicken mit Dankbarkeit und Stolz auf seine Verdienste und große Lebensleistung. Helmut Schmidt lebte für die Politik und die Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger. Er hat sich um unser Land und seine Partei verdient gemacht. In der ganzen Welt genoss Helmut Schmidt höchste Reputation. Er hat deutsche Politik berechenbar gemacht. Seine Politik beruhte auf Nüchternheit und Rationalität, Toleranz und Weltoffenheit beruhte.

Helmut Schmidt wollte nie ein Vorbild sein. Noch in diesem Jahr sagte er von sich in demonstrativer Bescheidenheit: „Ich bin kein Vorbild. Das ist eine Rolle, die mir nicht gefällt.“ Doch im Abschied wird uns erneut klar, wie viel wir ihm zu verdanken haben und was wir von ihm lernen können: er hatte den Willen zur politischen Verantwortung und er hat sich für das öffentliche Wohl engagiert.

Helmut Schmidt konnte auch unbeugsam seine politischen Ziele unbeirrt umsetzen. In der Sache konnte er leidenschaftlich sein. Sein Augenmaß und seine Gelassenheit haben aber sein Handeln bestimmt. Dabei blieb Helmut Schmidt seinen ethischen Prinzipien und seinem eigenen Gewissen treu. So hat und Helmut Schmidt vorgelebt, wie anständige und vernünftige Politik aussieht. Seine Geradlinigkeit hat Vertrauen erzeugt und ihn eben doch zum Vorbild für viele gemacht.

Bis zu seinem Tod hat sich Helmut Schmidt immer wieder analysierend, kommentierend und mahnend zu Wort gemeldet. Henry Kissinger nannte Helmut Schmidt eine Art Weltgewissen. Mit seinem scharfen Verstand und seinem Erfahrungshorizont gab er vielen Menschen Orientierung.

Auch, wenn er nun von uns gegangen ist, bleibt vieles von ihm bei uns. Seine Urteilskraft, seine Weitsicht und seinen Rat werden wir vermissen.

Wir trauern um Helmut Schmidt und sind als Sozialdemokraten besonders stolz darauf, dass er einer von uns war. Von Helmut Schmidt haben wir gelernt, was es heißt, in einer demokratischen und offenen Gesellschaft politische Verantwortung zu übernehmen.

In Hamburg hatte er mit Klugheit und Augenmaß eine größere Katastrophe verhindert. Als die Dämme brachen, organisierte er die notwendige Hilfe. 1962 zeigten sich bereits die Eigenschaften, die ihn in späteren Jahren zu einem Ausnahmepolitiker reifen ließen: Entschlossenheit und Führungsstärke. 15 Jahre später, unter dem Terror der RAF, wurde seine moralische Grundhaltung auf die Probe gestellt. Der deutsche Staat hat sich unter Helmut Schmidt nicht erpressen lassen. Das hat uns gegen den Terror gewappnet. Das hat aber auch den, der die Entscheidungen treffen musste in Stunden tiefer Verzweiflung gestürzt.

Die außergewöhnliche Persönlichkeit Helmut Schmidts können wir vor seiner eigenen Geschichte besser begreifen und würdigen. Er war ein Kind der Weimarer Republik. Er erlebte seine Jugend unterm Hakenkreuz und der Zweite Weltkrieg prägte ihn maßgeblich. Schmidt kämpfte als Soldat in der Sowjetunion, später an der Westfront und geriet kurzzeitig in britische Kriegsgefangenschaft. Diesen „Scheißkrieg“, wie Helmut Schmidt ihn nannte, wollte er niemals wieder erleben müssen. Doch Helmut Schmidt kam nicht verzweifelt aus dem Krieg. Helmut Schmidt wollte nach Kriegsende vor allem eines: Neues aufbauen und gestalten.

Er fühlte sich nach 1945 verpflichtet, mit zu helfen, das demokratische Deutschland aufzubauen und übernahm unverzüglich politische Verantwortung in zahlreichen politischen Ämtern. Bereits 1953 saß Helmut Schmidt erstmals im Deutschen Bundestag.  Er wurde Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, Verteidigungsminister, Finanzminister und schließlich in der Nachfolge Willy Brandts Bundeskanzler.

3 schmidtIm Bundestag erwarb er sich bei Kollegen und politischen Gegnern rasch hohes Ansehen. Im Kabinett von Willy Brandt bewies er seine fachliche Kompetenz, strategische Weitsicht und politische Gradlinigkeit. Als fünfter Bundeskanzler steuerte er die Bundesrepublik mit kühlem Kopf und pragmatischen Realismus durch schwierige Zeiten. Er hatte große Herausforderungen zu bewältigen: von der Wirtschaftsrezession bis zum Kalten Krieg. Klarsichtig und entschlossen hat er sie gemeistert.

Er hatte die Bedrohung durch neue atomare Mittelstreckenwaffen der Sowjetunion erkannt und voller Überzeugung für den NATO-Doppelbeschluss gestritten. Damals stellte er sich klar gegen den Zeitgeist und gegen die damals größten Demonstrationen im Deutschland der Nachkriegszeit. Populär war diese Politik nicht – weder in unserer Sozialdemokratie noch in der Öffentlichkeit.

Unvergessen ist seine Standfestigkeit im sogenannten Deutschen Herbst. Er sah sich damals vor unausweichliche Entscheidungen gestellt. Entscheidungen, die er nicht treffen konnte, ohne Schuld auf sich zu laden. Aber er hat sich nicht weggeduckt. Dank seiner Entschlossenheit bestand unsere Republik ihre schwerste Belastungsprobe, ohne selbst die Freiheit zu gefährden. Die Forderungen der Terroristen nicht zu erfüllen ist ihm schwer gefallen. Helmut Schmidt konnte sein Handeln aber mit bewegender Emotionalität öffentlich begründen. Die Menschen in Deutschland verstanden und unterstützten seine Entscheidung.

Doch auch Kompromisse schließen zu können, war für Helmut Schmidt eine Grundvoraussetzung, um politisch zu gestalten. Seine klare Linie hat er dabei nie aus den Augen verloren.

Wenn notwendig, ging er dem Konflikt mit der eigenen Partei nicht aus dem Weg. Doch Zweifel daran, dass er überzeugter Sozialdemokrat war, ließ er nie aufkommen. Die Grundwerte des Godesberger Programms blieben immer seine Richtschnur: Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Und Helmut Schmidt verkörperte im besten Sinne des Wortes die internationale Tradition der Sozialdemokratie. Als Kosmopolit dachte und handelte er weit über die Grenzen Deutschlands und Europas hinaus in weltpolitischen Zusammenhängen.

Für ihn war es selbstverständlich, die sozialdemokratische Entspannungspolitik Willy Brandts fortzusetzen. Die durch Helmut Schmidt erreichten Verträge über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa waren wichtige Schritte hin zu stabilem Frieden. Er war ein großer und überzeugter Europäer. Deutschland konnte, so sah er es, seine Rolle in der Welt nur als Teil Europas finden.

Heute erleben wir eine Europäische Union, die vielfach herausgefordert ist – durch die Finanzkrise, durch den Zustrom der Flüchtlinge und immer wieder auch durch den Terror. Unsere freie und gerechte Gesellschaft ist jedoch, davon war Helmut Schmidt aus der Erfahrung des Krieges überzeugt, nur in einem geeinten Europa sicher. Seine Plädoyers für die Rettung Griechenlands waren dafür nur ein Beispiel. Uns in der SPD hat er auf dem Parteitag 2011 einen klaren Auftrag erteilt: um das einzigartige Projekt der Europäischen Union müssen wir uns kümmern. Kümmern müssen wir uns alle gemeinsam. In unsere freiheitlich demokratische Verfassung muss jeder Einzelne Verantwortung für sich und für die Gemeinschaft übernehmen. Daraus entsteht die offene Gesellschaft, die Helmut Schmidt so am Herzen lag.

Wir erleben heute wie attraktiv diese Offenheit ist. Wir spüren aber auch, dass sie erbitterte Feinde hat und in Gefahr ist – bedroht von außen wie von innen. Von Helmut Schmidt haben wir gelernt, wie wir diesen Bedrohungen Stand halten können. Seine soziale und demokratische Politik lebte von klugen und pragmatischen Reformen. Sein Ziel war es, das Leben vieler zu verbessern, denn Freiheit braucht Gerechtigkeit. Mit seinem Politikstil der vielen kleinen Schritte wollte und konnte Helmut Schmidt unsere Gesellschaft nachhaltig verbessern.

Meine Damen und Herren,
das politische Vermächtnis dieses reichen Lebens lässt sich nicht in meinen wenigen Worten umreißen. Helmut Schmidt bleibt Orientierungsgröße unserer sozialdemokratischen Politik und der Politik im Ganzen.

Wir erinnern uns an die genannten und noch viel mehr ungenannte Verdienste eines Sozialdemokraten, der wahrhaft Großes geleistet hat. Vor einem der bedeutendsten politischen und intellektuellen Köpfe unseres Landes verneigen wir uns. Unsere Gedanken sind bei seiner Familie, seinen Freunden und Weggefährten. Vielen Dank.